Die deutsche Wirtschaft steuert durch schwieriges Fahrwasser und durchläuft die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten. In ihrem Frühjahrsgutachten revidieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihren Ausblick für dieses Jahr deutlich nach unten. Die Erholung von der Corona-Krise wird infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft.
Die Institute erwarten für 2022 und 2023 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,7 Prozent bzw. 3,1 Prozent. Bei einer sofortigen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen sähe es deutlich negativer aus.
Wegfall der Pandemiebeschränkungen und Auswirkungen des Krieges
Der Wegfall der Pandemiebeschränkungen sorgt für konjunkturellen Auftrieb. Dämpfend wirken die Nachwehen der Corona-Krise, weil Lieferketten immer noch sehr volatil sind. Der Krieg in der Ukraine belastet die Konjunktur sowohl angebots- wie nachfrageseitig. Laut den Instituten haben die staatlichen Hilfspakete während der Pandemie preistreibend gewirkt. Die Verteuerung wichtiger Energierohstoffe nach dem russischen Überfall fachen den Preisauftrieb weiter an.
Unter der Voraussetzung, dass das Kriegsgeschehen in der Ukraine mit Blick auf die ökonomische Aktivität nicht weiter eskaliert, werden die konjunkturellen Auftriebskräfte ab dem Frühjahr die Oberhand gewinnen, so die Wirtschaftsinstitute. Nach einem schwachen Jahresauftakt dürfte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal zwar deutlich zulegen, ohne die Belastung durch den Krieg in der Ukraine würde das Plus aber kräftiger ausfallen. Insgesamt verzögert sich damit der Erholungsprozess abermals. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung wird demnach erst im dritten Quartal des laufenden Jahres erreicht werden. Alles in allem erwarten die Institute einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 2,7 Prozent für dieses Jahr und 3,1 Prozentfür nächstes Jahr. Im kommenden Jahr driftet die deutsche Wirtschaft in eine leichte Überauslastung.
Maßgeblich dafür sind der hohe Auftragsüberhang in der Industrie sowie nachholende Konsumaktivität. Im Falle eines sofortigen Embargos für die Öl- und Gaslieferungen aus Russland in die Europäische Union würde hingegen die deutsche Wirtschaft in eine scharfe Rezession geraten. Der kumulierte Verlust an gesamtwirtschaftlicher Produktion dürfte sich in diesem Fall bereits in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Mrd. Euro belaufen, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht.
Hohe Inflationsrate erwartet
Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. Im Falle eines Lieferstopps für russische Energie würden sogar 7,3 Prozent erreicht, der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik. Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate mit 2,8 Prozent (Lieferstopp: 5,0 Prozent) deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen.
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Die Arbeitslosenquote liegt im Basisszenario in beiden Prognosejahren bei 5,0 Prozent (nach 5,7 Prozent im Vorjahr). Im Fall eines Lieferstopps dürften die Raten 5,2 Prozent (2022) und 6,0 Prozent (2023) betragen. Belastungen für die Konjunktur würden in diesem Fall im Wesentlichen über eine reduzierte Arbeitszeit aufgefangen werden.
Ausblick der Wirtschaftsinstitute
Der durch den Handelsstopp mit Russland ausgelöste Wirtschaftseinbruch wird bis zum Ende des Prognosezeitraums noch nicht wieder aufgeholt. Im Schlussquartal verbleibt gegenüber dem Basisszenario eine Lücke von rund 4 Prozent. Auch ein abermaliger Rückschlag im Winter 2023/2024 ist möglich. In der mittleren Frist dürfte sich die Wirtschaftsleistung jedoch allmählich dem Pfad annähern, der auch für das Basisszenario der Institute gilt.
Maßgeblich hierfür ist Produktionspotenzial, das weniger durch die temporäre Gaskrise als vielmehr dadurch beeinträchtigt wird, dass Energie auf absehbare Zeit am Standort Deutschland merklich teurer sein wird, als es sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine darstellte. Denn die Entscheidung, unabhängig von russischen Rohstofflieferungen zu werden, dürfte auch dann noch Bestand haben, wenn sich die militärische und politische Lage wieder beruhigt. Damit muss sich ein Teil der Energieversorgung und der energieintensiven Industrie neu ausrichten.
Hintergrund zur Gemeinschaftsdiagnose
Die Gemeinschaftsdiagnose ist ein gemeinsames Forschungsprojekt mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute. Durch ihre Zusammenarbeit werden die Analyse und die Prognose im Dialog und im Wettstreit mit verschiedenen theoretischen und methodischen Ansätzen bestmöglich fundiert.